Nun fällt jedoch auf, dass bei den Eichstätter Glasfenstern Holbeins, insbesondere bei der „Schutzmantelmadonna“, einige Gesichter eine derart überragende Qualität aufweisen, dass klar ist: Das kann nicht durch Glasmalerei alleine bewerkstelligt worden sein. Und noch mehr: Die Gesichter zeigen eine derart charakteristische Gestaltung, dass auch diesbezüglich an den als begnadeten Portraitzeichner bekannten Hans Holbein gedacht werden muss. Auch befindet sich an einer dieser Personen zwei Mal der Namenszug von Holbein. Jetzt lohnt es sich näher hinzusehen: Tatsächlich befindet sich auf den Bildern eine hauchdünne Schicht, die nicht vom Glas herkommt und die auch nicht auf Schwarzlot zurückgeführt werden kann. Bei früheren Restaurierungsversuchen hatte man teilweise noch versucht, diese Schicht als vermeintliche Patina wegzuputzen. Heute weiß man: Das ist sogenannte Kaltmalerei. Also nach dem Brennen des Glases mit einem Pinsel feinst aufgetragene Farbe.
Nun ist bekannt, dass der berühmte Augsburger Hans Holbein und die ausführende Werkstatt des Gumpold Giltlinger eng zusammen arbeiteten. Doch aufgrund der Qualität in der Gestaltung der Portraits wird jetzt eine Arbeitshypothese geboren: Hat Hans Holbein selbst Hand angelegt und die Glasfenster, vor allem das Bild mit der Schutzmantelmadonna, persönlich vollendet? Dieser These gehen die Wissenschaftler jetzt nach. Für die Forschung über Hans Holbein wird klar: Das Interesse des Künstlers an einer detailreichen und ausdrucksstarken Darstellung des menschlichen Portrait ist von vielen seiner Tafelbilder bekannt. Bei der Glasmalerei könnten die Eichstätter Fenster das erste und vielleicht einzige bekannte Mal sein, bei der diese Technik in derartigem Umfang zum Einsatz kam.
Nun sind es jedoch nicht alle Figuren des Bildes, die auf diese aufwendige Art gestaltet sind. Zumindest eine Person ist eindeutig identifizierbar. Es ist der Stifter des Fensters, der hier auf so überragende Weise verewigt werden sollte oder wollte. Die Inschrift verweist auf „WILHELMVS DE RECHBERG CANONICVS ET CVSTOS EYSTETTENSIS AN(N)O 1502“, also Wilhelm von Rechberg, Domherr – heute würde man sagen Domkapitular – und Kustos, also für den Dom zuständiger Hausherr. Er verstarb am 3. Oktober 1503, also bereits im darauffolgenden Jahr. Ob er sich durch diese großzügige Stiftung – wie damals üblich – das Seelenheil verdienen wollte, ist möglicherweise eine Unterstellung. Sie würde aber in die Zeit am Vorabend der Reformation passen. Nur 15 Jahre nach der Fertigstellung dieser Glasfenster hat Martin Luther seine Thesen veröffentlicht, in denen er sich unter anderem gegen Ablasshandel und das vermeintliche Erkaufen des Himmels wandte. Für die Eichstätter ist und bleibt die Schutzmantelmadonna eine Versinnbildlichung der Sehnsucht nach Geborgenheit und dem Aufgenommen sein in der göttlichen Nähe. Nicht zuletzt aus diesem Grund findet man das populäre Motiv auf zahlreichen Sterbebildchen von Eichstätter Gläubigen.