Von April 2019 bis Oktober 2024 wurde der Eichstätter Dom umfassend saniert. Nähere Informationen.
„Instrument des Jahres 2021“: Vielfältige Orgellandschaft im Bistum Eichstätt
Eichstätt. (pde) – Über 600 Orgeln gibt es Bistum Eichstätt. Nicht erst seitdem Corona den Kirchengesang weitgehend zum Schweigen gebracht hat spielen sie eine wichtige Rolle in der Liturgie. Wegen ihrer Bedeutung für Kirche und Kultur ist die Orgel für 2021 zum „Instrument des Jahres“ gekürt worden.
Die Aktion „Orgeljahr 2021“ der Landesmusikräte in Deutschland will die Orgel auch für Zielgruppen sichtbarmachen, die nicht in Kirchen gehen. Allein in Deutschland gibt es etwa 50.000 Orgeln. Seit 2017 gilt Orgelmusik und -bau als Immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Viele Menschen verbinden die Orgel mit der Kirche. Das liegt vor allem daran, dass die meisten dieser „musikalischen Wunderwerke“ in Gotteshäusern stehen. Mit gutem Grund: „Die Feier des Gottesdienstes braucht einen Klangraum, in dem der musikalische Moment Jubel und Freude, Anmut von Melodien, aber auch Klage und Schmerz zum Ausdruck bringen kann“, sagt Domorganist Martin Bernreuther, Orgelsachverständiger der Diözese Eichstätt. „In idealer Symbiose von künstlerischer Aussage und Liturgie werden das Unsagbare, das Geheimnisvolle und Göttliche erfahrbar.“ Die Orgelmusik mische sich mit ihren Tönen, Cantilenen, Klangfarben und Rhythmen ein in den gottesdienstlichen Verlauf und steigere die Feier der Liturgie.
Seit Ende des 13. Jahrhunderts ist neben der menschlichen Stimme die Orgel „Dienerin der Liturgie“, wie Bernreuther es formuliert. Eine zentrale Rolle habe ihr auch das 2. Vatikanische Konzil in der Konstitution über die heilige Liturgie zugeschrieben: „ Die Pfeifenorgel soll in der lateinischen Kirche als traditionelles Musikinstrument in hohen Ehren gehalten werden, denn ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporzuheben.“
Wegen ihrer majestätischen Größe, ihrer Komplexität und ihres unglaublichen Klangspektrums wird sie im allgemeinen Sprachgebrauch oft auch als „Königin der Instrumente“ bezeichnet. „Charakteristische Einzelstimmen verschmelzen in vielen Kombinationsmöglichkeiten zu neuen Farben und Klängen. Ihr Facettenreichtum reicht von sanften Stimmen bis zu ekstatischen Klanggewalten, von anmutenden Solostimmen bis hin zur Nachempfindung des symphonischen Orchesters“, beschreibt der Eichstätter Domorganist. „Mit ihrem Charme inspiriert sie die Musizierenden und stiftet die geistlich Hörenden an, ihre Stimmen zur Ehre Gottes und Erbauung des Menschen zu erheben.“
15 Orgelneubauten und viele Restaurierungen
Im Bistum Eichstätt ist im Laufe der Zeit eine reiche und vielfältige Orgellandschaft entstanden. „Nimmt man die Zahlen der Pfarr-, Filial-, Kuratie-, Expositur- und Klosterkirchen als Grundlage, so dürfte es mehr als 600 Pfeifenorgeln in der Diözese Eichstätt geben, die im Dienst der Liturgie stehen“, sagt Martin Bernreuther. In seiner Funktion als „Amtlicher Orgelsachverständiger“ hat er seit 2002 viele dieser Instrumente genauestens unter die Lupe genommen. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten gingen rund 200 Orgelprojekte durch seine Hände. Fachkundig begleitete er in dieser Zeit etwa 150 Reinigungen, Renovierungen und technische Instandsetzungen sowie 50 Restaurierungen historischer Instrumente. Ausgeführt wurden die Arbeiten jeweils von verschiedenen Orgelbaufirmen aus dem In- und Ausland. Im gleichen Zeitraum entstanden 15 Orgelneubauten, die große Anerkennung und zum Teil überregionale Beachtung fanden.
Als wegweisend gelten unter anderem die Bach-Orgel der Dresdner Manufaktur Kristian Wegscheider in Ingolstadt, die Goll-Orgel im historischen Gewand des Eichstätter Barockkünstlers Baumeister in Hilpoltstein und die innovative Orgel von Claudius Winterhalter in Roth. Zahlreiche sehr wertvolle historische Orgeln wurden in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege restauriert. Dabei sind besonders hervorzuheben die Barockorgel in Mariä-Heimsuchung auf dem Habsberg, die klassische Orgel auf dem Herz-Jesu-Berg in Velburg, die romantische Orgel in Raitenbuch und die Jugendstilorgel in Beilngries. Zurzeit ist Bernreuther mit 25 Orgelprojekten in Form von Bestandsaufnahmen, Reinigungen, Renovierungen und Restaurierungen betraut.
Größte und kleinste Orgel
Eine der jüngsten Orgeln befindet sich nach Bernreuthers Angaben in Sankt Quirinus, Wolkertshofen. Sie wurde im Jahr 2017 von der Dresdner Orgelbaufirma Kristian Wegscheider im Stil der weltberühmten sächsischen barocken Silbermannorgeln realisiert. Eine der ältesten und bedeutendsten Orgeln im Bistum Eichstätt steht in Mariä-Heimsuchung auf dem Habsberg. Sie wurde im Jahr 1767 vom Amberger Orgelbaumeister Johann Conrad Funtsch gebaut und von den Orgelbaufirmen Klais und Kuhn restauriert.
Das Ingolstädter Münster Zur Schönen Unserer Lieben Frau verfügt über die größte Orgel im Bistum. Gebaut hat sie im Jahr 1977 die Bonner Orgelbaufirma Johannes Klais mit 70 klingenden Registern auf vier Manualen mit Pedal. Eine der kleinsten Orgeln mit sechs klingenden Registern auf einem Manual mit Pedal der Schweizer Orgelbaufirma Marthis & Söhne findet sich in der Filialkirche Leutenbach bei Deining. Sie wurde vom ehemaligen Dompropst Josef Pfeiffer gestiftet.
Über 500 Organistinnen und Organisten
Was wären aber die vielen Orgeln ohne die Menschen, die sie mit Händen, Füßen und viel Engagement zum Erklingen bringen? Auch diesbezüglich ist die Diözese Eichstätt gut aufgestellt. Insgesamt 511 nebenberuflich ausgebildete Organistinnen und Organisten sowie 25 Musikerinnen und Musiker mit hauptberuflicher Ausbildung spielen die Orgeln im Bistum Eichstätt. Weitere 50 Teilnehmende zählt das diözesane Amt für Kirchenmusik derzeit in der C- und D-Kurs-Ausbildung zu nebenberuflichen Musikern in den Bereichen Kirchenmusik, Orgel und Chorleitung.
Orgeln gibt es nicht nur in und für die Kirchen, sondern sie bereichern auch das kulturelle Leben. So finden regelmäßig Orgelkonzertreihen im Dom (derzeit für Sanierungsarbeiten geschlossen) und in der Schutzengelkirche in Eichstätt, im Liebfrauenmünster und der Asam-Kirche in Ingolstadt, der „Basilika Sankt Martin“ in Greding und innerhalb der Internationalen Orgelwoche Nürnberg statt – in diesem Jahr, wenn Corona es wieder zulässt.
Die Zeit der Pandemie stellt aber auch an die Kirchenmusik besondere Herausforderungen, wie Domorganist Martin Bernreuther feststellt. Die Orgel spiele dabei eine besonders herausragende Rolle, da sie neben Sologesang zurzeit fast die einzige Möglichkeit biete, Liturgie ansprechend musikalisch zu gestalten. „Gläubige zeigen sich deshalb besonders dankbar wenigstens in Orgelmusik ihre Erbauung zu finden und ganz im Sinne des 2. Vatikanums die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporheben zu lassen.“
Text: Geraldo Hoffmann